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Antisemitismus in der Studentenschaft im 19. und 20. Jahrhundert

(CC-Papier, s.u.)

Wir befassen uns hier mit diesem Thema, weil wir heute im Jahr 1994 zunehmend mit der Behauptung konfrontiert werden, wir seien ausländerfeindlich, weil wir antisemitisch gewesen seien und es auch heute noch seien. Die folgende Ausarbeitung soll helfen, diese Fragen objektiv beantworten zu können.

Die Vorgeschichte

Seit 587 vor Chr. lebten und leben Juden in den verschiedensten Gebieten und Ländern der Erde. Sie bilden dort eine Minderheit. Diese wurde von der Bevölkerungsmehrheit - je nach dem Staat, in dem sie lebten - mit mehr oder minder großem Mißtrauen betrachtet.

Innerhalb Deutschlands sprach man im nationalistisch denkenden 19. Jahrhundert von einem "Staat im Staat." In dieser Zeit wurde auch der Begriff "Antisemitismus" geprägt. Mit ihm beschreibt man heute alle Formen der "Judenfeindlichkeit".

Bis in die 70er Jahre des 19. Jahrhunderts konnte man innerhalb der "organisierten Studentenschaft" von Antisemitismus nicht sprechen. Auch die Landsmannschaften nahmen - ohne auf Glaubensunterschiede zu achten - Juden auf. 1) Ab etwa 1873 begannen sich die Korporationen immer stärker antisemitisch zu orientieren. Die Studentenschaft reagierte damit - zeitlich verzögert - auf die gesamtgesellschaftlichen Wandlungen. Man machte die Juden als Gesamtgruppe für Mißstände in Wirtschaft, Politik und Kultur verantwortlich.

Die Gegnerschaft in der Bevölkerung und der gesamten Studentenschaft nahm immer stärkere Ausmaße an. Sie führte schließlich dazu, daß 1880 eine "Antisemitenpetition", initiiert von Förster (einem Schwager Nietzsches) und von 225.000 Menschen unterzeichnet, im Abgeordnetenhaus eingebracht wurde. Weder dort noch bei Bismarck, dem sie gleichfalls vorgelegt wurde, hatte sie jedoch Erfolg (Entfernung der Juden aus Staatsämtern).

Auch in der Literatur (Gustav Freytag, Soll und Haben, 1865; Wilhelm Raabe, Der Hungerpastor, 1864) fanden die Vorurteile gegen das Judentum Eingang und führten zur Beeinflussung des Meinungsbildes des Bürgertums.

Die Verlagerung des Antisemitismus von der politischen auf die geistige und gesellschaftliche Ebene führte dazu, daß die meisten politischen Parteien sowie viele Interessengruppen (Militär, Bund der Landwirte u.v.a.m.) antisemitische Programme vertraten. So auch die studentischen Vereinigungen. Man forderte "den Ausschluß und die Bekämpfung des Judentums". Hier machte sich insbesondere der Kyffhäuserverband der Vereine Deutscher Studenten stark. Die Burschenschaften nahmen schon länger keine Juden mehr auf, die Corps hielten sich, zumindest in der Öffentlichkeit, sehr zurück. Ab 1870 admittierten sie aber meist keine Juden mehr. Und so entwickelte sich in der Folgezeit innerhalb der Korporationen immer stärker die Meinung, man müsse "zeitgemäß" sein und keine Juden aufnehmen.

Der Coburger Landsmannschafter-Convent und die Judenfrage

Auch die Landsmannschaften und Turnerschaften schlossen sich in der "Judenfrage" dem Zeitgeist an. In den meisten Bünden wurden - wie bei den Corps - Juden nicht mehr aufgenommen. Ab dem Jahr 1890 gab es im Verbandsorgan, der L.C.-Zeitung, immer wieder Stellungnahmen zu dieser Frage. Bis zum Pfingstkongreß 1894 hatte aber die Judenfrage im Verband quasi keine Rolle gespielt.

Auf dem Kongreß des Coburger L.C. vom 14. Mai 1894 wurde von den anwesenden Vertretern der Bünde ein Antrag behandelt, der erst im Verlauf der Coburger Verbandstagung auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Direkter Anlaß war ein Ehrengerichtsverfahren, das gegen den einzigen jüdischen Kongreßteilnehmer in die Wege geleitet worden war.

Aus dem Protokoll des Kongresses vom 14. Mai 1894 sowie dem Bericht über den "Coburger Kongreß 1894" in der L.C.-Zeitung vom 21. Juni 1894 geht folgende Formulierung des Antrags hervor, der schließlich Beschluß wurde:
"Juden dürfen weder als Aktive noch als C.K. (Conkneipanten) admittiert werden, da der Cob. L.C. die Judenfrage nicht als religiöse oder politische Frage auffaßt, sondern als Rassenfrage."

Diesem Antrag wurde noch ein Zusatz angefügt, der lautete: "Dieser Antrag soll rückwirkende Kraft auf die Aktiven des Cob. L.C. haben."

Der Antrag, samt Zusatz, wurde mit 26:3 Stimmen angenommen. 2)

Dieser Beschluß erregte in der Folgezeit die Gemüter der Verbandskorporationen sehr. Mancher BC und viele AHVAHV erhoben gegen die gefaßte Entscheidung Protest. Sie forderten seine Annullierung. Da man jedoch den beschlossenen Antrag veröffentlicht hatte, scheute man, der öffentlichen Meinung wegen, davor zurück, die Entscheidung rückgängig zu machen.

"Im Jahre 1900 wurde bei der Neukonzipierung der Satzung des Cob. L.C. erwogen, den ,Judenparagraphen' wieder zu streichen", und zwar mit der Begründung, "die Judenfrage sei doch eine politische."3)

Auf dem Pfingstkongreß 1901 (Anm.: in der gedruckten Version steht 1908...) wurde die alte Formulierung gestrichen, es blieb jedoch im (sect) 4 der Satzung der Zusatz: "Doch dürfen Juden nicht aufgenommen werden." 4)

Der Versuch von 1908, (Anm.: in der gedruckten Version steht 1902...) diesen Satz aus der damaligen Satzung zu streichen, scheiterte. Es soll dabei nicht unerwähnt bleiben, daß zu jener Zeit die gesamte AH-Schaft auf dem Kongreß nur eine einzige Stimme hatte. Daher konnte sich die Meinung der jungen Aktiven, die den Antisemitismus als gesellschaftliche Norm kennengelernt hatten, durchsetzen. 5)

Ein Zitat aus der L.C.-Zeitung von 1896, (Sp. 100f.) sei hier noch angefügt. Es handelt sich um eine Stellungnahme zu einer Zuschrift:

"Zunächst möchte ich die Behauptung anführen, die der Herr K...f aufstellt. Er sagt: "Wir befanden uns in einer Zwangslage. Nur Landsmannschaften und Blasen hatten jene Bestimmung noch nicht erlassen, und sie beide galten deswegen bei Finken (Anm.: Finken = Nichtkorporierte) und Pennälern als Judenverbindungen, die im Range und Ansehen unter jene zu stellen seien. Der Beschluß war also ein Akt der Selbsterhaltung, und die Sorge um das Gedeihen des L.C. dictierte ihn. Wenn der Beschluß wieder aufgehoben würde, würde der L.C. sofort bei der akademischen Jugend und den Pennälern in Mißkredit kommen." (So weit die Behauptung, nun die gekürzte Stellungnahme:)

"Es ist da ein kleiner Irrthum mit unterlaufen, wir waren nämlich nicht die Letzten, die die Juden ausschlossen, sondern die ersten, ... versetzten den D.C. und S.C. in eine Zwangslage, indem wir sie nöthigten, zu der Judenfrage Stellung zu nehmen ... gelangten aber keineswegs zu einem derart radikalen und konsequenten Beschluß wie wir. Der einzige Verband, der dieselbe Bestimmung ohne Klauseln in seine Statuten aufgenommen hat, ist meines Wissens der V.C."

Der Antisemitismus im V.C. der Turnerschaften

Auch an diesem Verband ging die Frage der Aufnahme von Juden nicht spurlos vorüber. Der ordentliche Vertreterconvent der Jahre 1894 und 1896 lehnte allerdings Anträge zu dieser Frage ab. Es wurden jedoch - auch ohne offiziellen Beschluß - von den Aktivitates keine Juden mehr aufgenommen.

Die Judenfrage nach dem Ersten Weltkrieg

Nach 1918 kam es zu einer neuen antisemitischen Welle. Vom Jahr 1920 an war allenthalben eine Verschärfung des "Arierprinzips" zu erkennen, auch bei den Korporationsverbänden. Die D.L. bestätigte das "Aufnahmeverbot für Juden" im Jahr 1920, wobei "unter Juden Rassejuden" zu verstehen seien. Was für die Korporationsstudenten galt, war auch in der Deutschen Studentenschaft (DSt.), die sich im wesentlichen aus Nichtkorporierten zusammensetzte, Praxis.

Agitationen gegen jüdische Professoren und Studenten gingen etwa ab dem Jahre 1930 nur vom NSDStB (Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund) aus, einen "eigenständigen studentischen Antisemitismus" gab es danach quasi nicht mehr.

Am 1. Juli 1933 trat das "Bundesgesetz des ADW" (Allgemeiner Deutscher Waffenring) in Kraft. Ein waffenstudentischer Verband wurde nur noch anerkannt, wenn "unter seinen Mitgliedern weder Judenstämmlinge noch jüdisch Versippte oder Freimaurer" waren. (DT. 51, 1934/35, S. 419)

Nur wenige Monate danach verfielen schließlich die Korporationen insgesamt dem Verbot der NS-Regierung.

Wie aus der "Geheimen Denkschrift" des Turnerschafters Carl Friedrich Goerdeler (T! Eberhardina Tübingen) vom 26.3.1943 hervorgeht, wandte er sich - und mit ihm viele korporierte Mitglieder des konservativen Widerstandes im Dritten Reich - gegen die "Judenpolitik" der NS-Regierung.

Es muß hier ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß in den meisten Korporationen, die heute zu unserem Verband gehören, Juden, die bereits Alte Herren waren, von ihren Bundesbrüdern nicht diskriminiert wurden.

Aufgrund der Grundsätze des CC wird heute niemand wegen seines Glaubens oder seiner Herkunft diskriminiert. Was 1894 bzw. im Dritten Reich geschah, wird von uns mißbilligt. Wir bedauern aufrichtig die damaligen Beschlüsse und Vorgehensweisen.

Eine sehr ausführliche Darstellung des "Studentischen Antisemitismus" enthält das Heft 27 der Schriftenreihe der Studentengeschichtlichen Vereinigung des CC.

Zur Auseinandersetzung mit der Thematik ist weiter empfehlenswert das Buch von Konrad H. Jarausch, Deutsche Studenten 1800 bis 1970, Kap. II,7: "Illiberale Wende zum akademischen Antisemitismus", Neue Historische Bibliothek, edition suhrkamp ISBN 3-518-11258-9 <1400>, Frankfurt 1984. Beide Bände enthalten ein reichhaltiges Quellen- und Literaturverzeichnis.

Literatur:

1) D. Grieswelle, Antisemitismus in deutschen Studentenverbindungen des 19. Jahrhunderts, in: Student und Hochschule im 19. Jahrhundert, Göttingen 1975

2) Zeitung des Coburger L.C. [LCZ], VIII. Jahrgang, Nr. 6 vom 21. Juni 1894

3) Historia academica, Schriftenreihe der studentengeschichtlichen Vereinigung des CC, Heft 27, 1988: Studentischer Antisemitismus und jüdische Studentenverbindungen, S. 69

4) ebenda, S. 70

5) ebenda, S. 70ff.

Februar 1994

Ekkehard Eisenlohr
CC-Amtsleiter für Nachwuchsarbeit

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