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Arktis mit der am 16. September 2012 von Meereis bedeckte Fläche (weiße Fläche), gelbe Linie: durchschnittliches Minimum des Meereises der Jahre 1979 bis 2010 Bild: NASA/Goddard Space Flight Center Scientific Visualization Studio Original

Arktisches Eis schrumpft auf neues Rekordminimum

Die mit Meereis bedeckte Fläche in der Arktis erreichte auch in diesem Jahr im Spätsommer (der nördlichen Hemisphäre) seine minimale Ausdehnung, bevor die Fläche des Meereises jahreszeitlich bedingt wieder wächst. Nach vorläufigen Auswertungen schrumpfte in diesem Jahr das arktische Meereis auf ein neues Rekordminimum (seit Beginn der Satellitenmessungen im Jahr 1979) von rund 3,41 Mio. Quadratkilometer (km²).

Die im September 2012 beobachtete Fläche des Meereises ist demzufolge etwa 18 % kleiner als das bisherige Minimum aus dem Jahr 2007. Diese Flächendifferenz ist etwa doppelt so groß wie Deutschland. Alle sechs saisonal kleinsten Flächen traten in den sechs vergangenen Jahren auf (2007 bis 2012). Im August 2012 war der Flächenverlust besonders dramatisch: Zeitweilig verminderte sich die mit Meereis bedeckte Fläche binnen 24 Stunden um eine Fläche, die Bayern plus Hessen entspricht. Gegenüber der letzten Maximalfläche des Nordwinters bedeutete dies einen Verlust von rund 11,8 Mio. km². Dieser Verlust ist um mehr als 1 Mio. km² größer, als alle bisher beobachteten jahreszeitlich bedingten Verluste.

Das Datum der geringsten Ausdehnung des Meereises wird von den beiden mit der Auswertung der Satellitendaten befassten Institutionen mit dem 13. bzw. 16. September 2012 geringfügig unterschiedlich angegeben (vorläufige Auswertung). Diese Diskrepanz lässt sich mit dem jeweils gewählten Auswerteverfahren leicht erklären: Die National Aeronautics and Space Administration (NASA) hat den 13. September nach individueller Auswertung der Messdaten eines jeden einzelnen Tages bestimmt. Wissenschaftler des „National Snow and Ice Data Center (NSIDC)“ ermittelten den 16. September auf Basis eines gleitenden Fünftagesmittels.

Dieses erneute Rekordminimum zeigt, dass das arktische Eis wesentlich schneller schwindet als prognostiziert. Damit könnte bereits in wenigen Jahrzehnten das Nordpolarmeer im Nordsommer größtenteils eisfrei sein, einzelne Klimaforscher rechnen damit bereits in weniger als einem Jahrzehnt.

Ist das arktische Meereis „systemrelevant“?

Durch das fehlende Eis im Nordpolarmeer ergeben sich zwar einige neue Chancen: Z. B. werden der Schifffahrt saisonal neue Routen ermöglicht, auch der Zugang zu neuen Lagerstätten eröffnet neue Möglichkeiten. Das Potenzial solcher Chancen verblasst jedoch im Vergleich mit den absehbar schwerwiegenden Risiken als Folge des schwindenden arktischen Eises auf das Klimasystem der Erde:

• Eine Erwärmung der Nordpolarregion kann nicht ohne Einfluss auf die Permafrostgebiete bleiben. Eine zunehmende großflächige Emission des im gefrorenen Boden gebundenen hochwirksamen Treibhausgases Methan aus den auftauenden Permafrostgebieten oder auch direkt aus dem Nordpolarmeer ist dann unausweichlich — mit wesentlichen Folgen für das globale Klimasystem.

• In Meereis wird längerfristig nur weniger als ein Zehntel des Salzgehaltes von Meerwasser gebunden. Deshalb führt Meereisbildung zu einem erhöhten Salzgehalt der darunterliegenden Meerwasserschicht. Dieser erhöhte Salzgehalt (Salinität) vergrößert die Dichte des Meerwassers, was zum Absinken dieses Meerwassers führt. Die dadurch initiierte thermohaline Zirkulation bildet einen wesentlichen Antrieb der globalen Meeresströmungen, wozu auch der für Nord- und Mitteleuropa klimabestimmende Golfstrom gehört. Eine verminderte Salinität des Meerwassers im Nordpolarmeer könnte auch Eigenschaften des Golfstroms verändern — mit kaum abschätzbaren Folgen für Europa.

• Das fehlende Meereis, das bislang einen großen Teil des Sonnenlichts reflektiert (Albedo), verändert die Strahlungsbilanz der Nordpolarregion, was zu einer tendenziell stärkeren Erwärmung des Nordpolarmeers führt. Dieser Effekt ist besonders im Nordsommer wirksam. Komplizierter sind die Zusammenhänge hinsichtlich des Wärmeaustauschs zwischen Meer und Atmosphäre in der Übergangsphase beim Wiederaufbau des Meereises während des Beginns des Nordwinters (Polarnacht). Jedenfalls könnte der Eis-Albedo-Effekt weiterhin ein wichtiger Kipp-Punkt im Klimasystem der Erde sein. Nach neueren Erkenntnissen ist diese Gefahr geringer, solange sich im Nordwinter noch wesentliche Meereisflächen ausbilden können.

Meereisausdehnung Arktis, Stand 22. Sept. 2012, Quelle: tagesaktuelles Bild, Quelle

Verharmlosende und irreführende Argumente

Der Zustand des arktischen Meereises vom September 2012 ist ein außerordentliches Ereignis. Trotzdem wird gelegentlich versucht, dieses Ereignis mit zweifelhaften Argumenten zu relativieren. Einige solcher Argumente werden nachfolgend diskutiert:

„Die Verminderung des Nordpolareises wird durch die Zunahme des Südpolareises kompensiert.“

Dem ist nicht so, aus folgenden Gründen: Zunächst muss im Südpolarbereich unterschieden werden zwischen Meereis und Landeis. Das Volumen der Eisbedeckung des antarktischen Kontinents nimmt eindeutig ab. Im Gegensatz dazu nimmt das Meereis im Südpolarbereich tendenziell leicht zu (statistisch nicht signifikant). Die saisonalen Schwankungen sind sehr groß.

Demgegenüber nimmt das Meereis im Nordpolarbereich tendenziell stark ab (und zwar um ein mehrfaches der Zunahme des Meereises der Antarktis).

Folglich nimmt die Fläche des globalen Meereises (also Arktis plus Antarktis) tendenziell ab (auch hier bei großen saisonalen Schwankungen). Wegen der gegebenen Größenverhältnisse wird die minimale Fläche des globalen Meereises im Januar/Februar erreicht (Einfluss des Südsommers). Die Fläche des globalen Meereises von 15 Mio. km² wurde seit 2005 in allen Jahren (außer 2008 und 2009) unterschritten. Vor 2005 ist dies nie vorgekommen (seit Beginn der Satellitenmessungen 1979). Umgekehrt wird die maximale Fläche des globalen Meereises im Oktober/November beobachtet. Flächen von 23 Mio. km² und mehr wurden in den Jahren 1980, 1985, 1988 und 1994 beobachtet, danach wurde diese Größe nie mehr erreicht (Stand: 22. September 2012).

„Am 16. September 2012 herrschte in der Antarktis extremer Frost.“

In der Tat wurde an diesem Tag an der Wetterstation Wostok (Vostok) - auch bekannt als „Kältepol“- eine Temperatur von -83,6 °C gemessen. Die tiefste in einem September (seit 1958) gemessene Temperatur liegt dort bei -85,6 °C. Darüber hinaus wurde dort am 21. Juli 1983 die bislang tiefste Temperatur weltweit gemessen: -89,2 °C.

Solche Messungen sagen wenig über den in der Antarktis herrschenden Klimatrend aus. Basierend auf Satellitenmessungen (1981 bis 2007) ist in großen Teilen der Antarktis eine Erwärmung eingetreten, die — wie bereits oben erwähnt — langfristig mit einer Abnahme des Landeises einhergeht. Daher ist eine solche Momentaufnahme aus der Antarktis nicht besonders aussagekräftig.

„Ein außergewöhnlicher Sturm hat den dramatischen Verlust an Meereis ausgelöst.“

In der ersten Augustwoche tobte in der Arktis tatsächlich ein — im Nordsommer eher seltener — schwerer Sturm. Allerdings kann dieser Sturm das Abtauen des Meereises nicht grundsätzlich verursacht haben: Ausgehend von einem relativ hohen Eisbestand (der Anfang April 2012 in etwa dem der Jahreszeit entsprechenden Durchschnitt der Jahre 1972 bis 2011 entsprach) schrumpfte in den Folgemonaten die Eisfläche so stark, dass bereits seit Anfang Juli (d. h. lange vor dem Sturm) extrem kleine Werte erreicht wurden, die im gesamten Juli im Bereich des bisherigen Extremjahres 2007 lagen. Allerdings ist durchaus vorstellbar, dass der Sturm das ohnehin sehr dünne Meereis zusätzlich zerlegt hat und auf diese Weise zusätzliche Angriffsflächen für den Tauvorgang geschaffen hat. So könnte die bereits vor dem Sturm extrem kleine Meereisfläche zusätzlich reduziert worden sein.

Eine monatliche Zusammenfassung des lokalen und globalen Wettergeschehens (d. h. Deutschland und weltweit) kann unter sonnenernte.npage.de abgerufen werden [unter „Hauptmenü“ bitte den Punkt „2010-12-weiter-ueberdurchschnittlich-warm“ anklicken]. Jeweils im letzten Monatsdrittel werden die Daten des Vormonats zur Verfügung gestellt.

Weitere Informationen zum Thema:

www.iup.uni-bremen.de:8084/ssmis/

arctic.atmos.uiuc.edu/cryosphere/

nsidc.org/arcticseaicenews/2012/09/arctic-sea-ice-extent-settles-at-record-seasonal-minimum/

Roland Schulze

Wissenswertes

„Kipp-Punkt“ (tipping point) bezeichnet einen Vorgang, bei dem bei Überschreiten eines Grenzwertes eine relativ kleine Veränderung des Ausgangszustands eine wesentliche qualitative (evtl. sogar irreversible) Zustandsänderung bewirkt. Beispiel: Beim Erhitzen gerinnt Eiklar nach Überschreiten einer bestimmten Temperatur und wird danach auch bei sofortiger Abkühlung nicht mehr flüssig.

Obwohl Arktis und Antarktis auf den ersten Blick ähnlich erscheinen (extrem abgelegen und kalt) existieren grundlegende Unterschiede:

Das Nordpolarmeer der Arktis ist weitgehend von Landmassen umgeben. Die Antarktis ist ein von Ozeanen umgebener mit Eis überzogener Kontinent. Das führt dazu, dass auf das Meereis der Arktis wegen der trockenen Festlandsluft nur relativ wenig Schnee fällt. Ganz anders ist dies beim Meereis der Antarktis: Dort fallen wegen der feuchten Meeresluft große Schneemengen.

In der Forschung werden sowohl die Meereisfläche als auch die Meereisausdehnung verwendet. Dabei handelt es sich um zwei verschiedene Parameter (mit jeweils spezifischen Vor- und Nachteilen), die unterschiedlich ermittelt werden: Zur Ermittlung der Meereisfläche wird für jeden betrachteten Flächenabschnitt der Anteil der Eisfläche geschätzt, daraus die tatsächlich mit Eis bedeckte Fläche berechnet und diese tatsächlich mit Eis bedeckten Teilflächen aufsummiert (Meereisanteile von unter 15 % werden nicht berücksichtigt). Die Meereisausdehnung ist die Summe aller Flächenabschnitte mit einem Meereisanteil von mehr als 15 % (pragmatisch festgelegter, von NASA bzw. NSIDC verwendeter Schwellenwert). Daraus folgt, dass die Meereisausdehnung immer größer als die Meereisfläche sein muss.

Gastartikel

Dies ist ein Artikel der Karlsruher Zeitschrift umwelt&verkehr 3/12

Stand des Artikels: 2012! Der Inhalt des Artikels könnte nicht mehr aktuell sein, der Autor nicht mehr erreichbar o.ä. Schauen Sie auch in unseren Themen-Index.

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